Bist du manchmal überfordert von positivem Denken?
Die einen verteufeln es, die anderen schwören darauf. Wir werden förmlich überflutet von Zitaten mit Lebensweisheiten und wenn du ein Problem hast, dann ist die häufigste Antwort:
Wirst sehen, alles wird gut! Vielleicht löst das in dir ein unangenehmes Gefühl aus – eine Leere – am liebsten würdest du alles vorher Gesagte zurücknehmen aber du lächelst, nickst und redest dann über etwas Anderes.
Unlängst habe ich einen Artikel über „toxic positivity “ gelesen, der mir irgendwie nicht aus dem Kopf geht. Ich fand den Artikel ziemlich gut bis auf den Teil, der dann irgendwie doch Menschen, die „negativ“ denken als die wahren Realisten darstellt. Also sinngemäß „positiv“ denkende Menschen malen sich ihre Realität schön und die „negativ“ denkenden Menschen, die wissen wie die Welt wirklich ist und es ist völlig klar dass sie dann in Depression verfallen.
Positiv denken wird gleichgesetzt mit: Wer positiv denkt, dem passieren nur gute Dinge im Leben!
Der Umkehrschluss ist demnach: Wem schlimme Dinge in Leben passieren, hat nicht positiv genug gedacht.
Diese Art zu denken ist tatsächlich sehr bedenklich, denn sie kann dazu führen, dass Mitleid, Verständnis und Liebe immer mehr aus dem Bewusstsein einer Gesellschaft verdrängt werden. Wenn du selbst schuld bist, dann geschieht es dir recht und du verdienst kein Mitleid.
Falsch verstandene „Positivität“
Wir alle kennen die Kollegin, die nach dem Motto „Hauptsache mir geht‘s gut“ lebt und ihren Egoismus zur Schau trägt und andere mit ihrer Rücksichtslosigkeit, die sie als positives Denken tarnt, ständig vor den Kopf stößt.
Oder der Kollege, der ständig andere mit „positiven“ Zitaten bombardiert und damit Lebensweisheit und Durchblick demonstrieren will, letztendlich aber wie ein CD- Player ist, der nur oberflächlich wiedergibt was er auf seiner Platte gespeichert hat. Nichts von dem, dass er sagt, geht in die Tiefe, nichts hat er verinnerlicht, nichts fühlt sich stimmig an.
Oder der Verwandte, der immer ungefragte Ratschläge erteilt, auf alles eine Antwort kennt, immer so demonstrativ positiv ist und dauernd lächelt aber sein eigenes Leben nicht auf die Reihe kriegt.
Die „süße“ Kollegin, die so lieb ist und so schön redet aber hinterrücks Allianzen schmiedet und über Leichen geht.
Und da ist noch die ehemalige Schulfreundin, die immer so „positiv“ ist, dass du dich fragst, ob sie wirklich immer noch glaubt, dass das Christkind zu Weihnachten die Geschenke bringt.
Die Liste könnte ich noch lange weiterführen aber ich denke du weißt worauf ich hinauswill.
Positives Denken wird heute einerseits von vielen als Legitimierung für Ignoranz, Rücksichtslosigkeit und Desinteresse an Mitmenschen und allem was um sie herum passiert verwendet. Andererseits gibt es da noch die „Schönmaler“, die nie ein Problem sehen und mit ihrem Verhalten dazu beitragen, dass keine konstruktive Diskussion entstehen kann und somit auch keine Veränderung möglich ist.
Heißt das jetzt für dich und mich, dass wir nicht mehr „positiv“ denken sollen?
Was bedeutet überhaupt positiv denken?
Vielleicht geht es darum mit den Karten, die einem das Leben zugeteilt hat, das beste Spiel zu spielen.
Selbst in den dunkelsten und hoffnungslosesten Ecken dieser Erde gibt es Menschen, die es schaffen das Beste aus ihrem Leben zu machen. Andererseits gibt es genügend Beispiele für privilegierte Menschen, die aus ihrem Leben ganz sicher nicht das Beste machen. Ganz im Gegenteil, sie betäuben sich mit Drogen und ertrinken in Sinnlosigkeit.
Toxic positivity gibt es wirklich – die gute Nachricht ist – du entscheidest welche Art des Denkens du verinnerlichen möchtest und ob du zulässt, dass es toxisch auf dich und andere Menschen wirkt oder nicht!
Womit wir wieder bei der Frage sind: Haben wir selbst zumindest einen gewissen Einfluss auf unser Leben?
Nehmen wir Sabine und Jelena als Beispiel:
Sabine ist immer schlecht drauf, zweifelt an sich selbst und für sie ist die Welt ein grauer, ungerechter Ort, wo sich alles gegen sie verschworen hat.
Jelena ist meistens gut drauf, freundlich, selbstsicher und hat Spaß am Leben. Für sie ist die Welt ein Ort voller Wunder und hinter jeder Ecke wartet eine neue Überraschung.
Wenn beide sich zum Beispiel um ein Stipendium bewerben würden und zwei Monate auf die Zu- oder Absage warten müssten – würde Sabine diese Zeit mit Selbstzweifeln, Ängsten und voller Stress verbringen.
Jelena hingegen würde in der gleichen Zeit das machen, was sie immer tut: Spaß haben, ihr Leben leben und auf das Beste hoffen.
Jetzt stell dir vor nach zwei Monaten bekommen beide eine Absage. Sabine wäre bestätigt in der Annahme, dass die Welt ein grauer, ungerechter Ort ist und „sowas immer nur ihr passiert“. Jelena wäre kurz enttäuscht, würde aber ziemlich schnell die Entscheidung hinnehmen und wieder das Beste daraus machen.
Der entscheidende Punkt jedoch ist, dass Jelena die zwei Monate des Wartens in einem angenehmen Zustand verbracht hat und viel mehr Energie übrighat, um die Absage zu verkraften als Sabine. Sabine hat unendlich viel Kraft darauf verbraucht unglücklich zu sein und die Absage raubt ihr sämtliche Energie, um noch irgendwie einen anderen Weg zu suchen, geschweige denn zu sehen.
Wie möchtest du lieber sein, wie Sabine oder Jelena? Ja, ich denke, dass wenn du dir das einmal bewusst gemacht hast, du sehr wohl entscheiden kannst in welchem emotionalen Zustand du den Großteil deines Lebens verbringen willst.
Versuche es doch einmal mit dieser Übung:
- Schreibe auf wie du in ähnlichen Situationen reagierst.
- Hat es dir jemals etwas gebracht, dich fertigzumachen?
- Überlege ob du mehr von Jelenas Optimismus in deinem Leben übernehmen kannst.
Das Ziel immer gut drauf zu sein, ist unerreichbar und macht eher unglücklich als glücklich. Das Ziel sollte sein möglichst viele schöne, angenehme, positive, erhebende, beflügelnde, wunderbare und freudige Gefühle zuzulassen und einfach das Beste aus jeder Situation zu machen.
Das ist für mich positives Denken.